Ich möchte vor Freude am liebsten herausschreien: “Das war der Beste Horrorfilm seit Jahren!”. Auf Sky läuft derzeit Hereditary – Das Vermächtnis an. Grund genug für mich, diesen Film einmal nachzuholen. Von Kritikern und Publikum gleichermaßen geliebt, erhielt dieser Film einige Nominierungen und Auszeichnungen von diversen Indy-Awards. Und dies schon vorab: Ja, jede dieser Auszeichnungen sind berechtigt.
Das Horrorfilm Genre wird eigentlich eher von mir gemieden statt zelebriert. Grund dafür ist der an Qualität mangelnde Output der Filmschaffenden in den letzten Jahren. Man hat schon lange vergessen, was einen guten Horrorfilm ausmacht. Stattdessen haben sich jede Menge Subgenres gebildet, wie beispielsweise das Slasher-Kino. Wahrscheinlich auch nur um die klassischen und guten Horrorfilme nicht zu beleidigen. Wenn wir von guten Horrorfilmen reden, dann reden wir über Werke, wie der Exorzist, The Shining oder The Ring. Alles Filme, die es verstanden haben den Horror im Kopf des Zuschauers zu intensivieren, ohne auf die übertriebene Anwendung von Jumpscares oder explizit übertriebene Gewalt darzustellen. Das man sich erschreckt, wenn plötzlich ein lautes Geräusch urplötzlich ertönt, dann reden wir von einer rein körperlichen Reaktion, nicht aber von einem kunstvollen Kniff. Hereditary – Das Vermächtnis führt uns zu dieser scheinbar schon verlorenen Qualität zurück.
Zur Geschichte von Hereditary – Das Vermächtnis
Im Zentrum der Geschehnisse stehen die Erlebnisse der Familie Graham. Der Film beginnt mit der Beisetzung der Großmutter (mütterlicher Seits), Ellen Taper Leigh. Ellen war bereits 78 Jahre und ein entbehrungsreiches Leben, welches durch viele persönliche Verluste gekennzeichnet war, gelebt. In ihren letzten Tagen, so erfahren wir von ihrer Tochte Annie während der Beisetzungsrede, litt ihre Mutter an voranschreitender Demenz. Das Verhältnis zwischen der Familie und der Großmutter war zerrüttet, weshalb Annie (gespielt von Toni Colette) auch nicht richtig in der Lage wahr um ihre Mutter zu trauern.
Mit voranschreitender Geschichte erfahren wir zudem weitere Einzelheiten über das Verhältnis zwischen den Parteien, teilweise direkt durch Gespräche mit Annie, teils durch Szenenbilder, die Annie im Rahmen ihrer Miniaturarbeiten erstellt. Insgesamt scheint man innerhalb der Familie sich aber durch den Tod der Großmutter etwas befreit zu fühlen. Lediglich die 13-jährige Tochter Charlie schien ein gutes Verhältnis zur verstorbenen gehabt zu haben, was wiederum ihre Mutter bereute, dass sie dies ermöglicht hatte.
Turning Point
Eines Abends möchte der Sohn auf eine Party von Klassenkameraden gehen und wird von der Mutter gezwungen seine jüngere Schwester mitzunehmen. Annie wollte dies tun, damit die depressiv wirkende Tochter auf andere Gedanken kommt und vielleicht etwas sozialen Anschluss findet. Charlie war dies aber nicht wirklich recht. Das introvertierte Mädchen wollte nicht von der Seite ihres Bruders weichen. Dieser überredete dann aber Charlie zumindest ein paar Minuten sich selbst zu beschäftigen, indem Sie sich ein Stück Schokoladenkuchen hole.
Es kam wie es kommen musste und auch schon angedeutet wurde, der Kuchen enthielt Nüsse, gegen die Charlie hoch allergisch reagierte. Nachdem sie sich ihrem Bruder mitgeteilt hatte ergriffen beide schnell die Flucht um in das nächstgelegene Krankenhaus zu kommen. Auf der Fahrt dorthin schnürte sich der Hals des Mädchens immer mehr zu. In ihrem Verlangen an frische Luft zu kommen, streckte das Mädchen während der Fahrt den Kopf aus dem Fenster. Aufgrund eines Ausweichmanövers von Peter, enthauptete er damit seine eigene Schwester an einem Mast. Unter Schock stehend fährt Peter mit der kopflosen Leiche nach Hause und legt sich ins Bett. Am folgenden Morgen musste die Mutter Annie, die Überreste ihrer eigenen Tochter selbst finden, was zu einem dramatischen Nervenzusammenbruch führte.
Um ihre Trauer verarbeiten zu können versucht sich Annie an der Teilnahme an einer Sitzung einer Selbsthilfegruppe. Dort lernt diese Joanne kennen, die sie im weiteren Verlauf zu einer Séance überredet. Ab diesem Zeitpunkt beginnen die übernatürlichen und zunehmend verstörenden Ereignisse.
Der Cast
Der Cast weiß durchaus zu überzeugen. Besonders herausstechen tun dabei Toni Collette in ihrer Rolle als Annie sowie Milly Shapiro, die ihre Tochter Charlie spielt. Toni Collette bieten uns an eine Bandbreite an Emotionen, die uns immer wieder in ihrer Intensität mitnimmt. Selten wurden Verlust, Verzweiflung oder Resignation dermaßen intensiv präsentiert. Collette schaffte es, dass ich immer zwischen Mitgefühl und Verstörung hin und her geworfen wurde als Zuschauer. Das Erlebnis des Films wurde durch diese brillante schauspielerischen Leistung fast allein getragen.
Milly Shapiro war der zweite Castmember der auf sich aufmerksam machen konnte. Dies lag vornehmlich an zwei Sachen, zum einen an dem prägnanten Gesicht der Jungschauspielerin und an ihrer schauspielerischen Leistung das introvertierte Kind darzustellen.
Alex Wolff (spielt Peter) und Gabriel Byrne (spielt den Vater der Familie) werden erst mit zunehmender Spieldauer immer besser. Gerade bei Byrne wird der Zuschauer im unklaren gelassen, wie dieser emotional zu den ganzen Ereignissen steht. Als sich dies später auflöst, liefert uns Regisseur Ari Aster einen tiefgründigeren Charakter als es zu Beginn den Anschein machte. Besonders bemerkenswert ist hierbei, dass Hereditary eigentlich Aster’s Langfimdebüt ist und dies auch noch als Drehbuchautor und Regisseur. Perfekter Einstand würde ich sagen!
Stärken des Films
Neben der schauspielerischen Leistung von Toni Collette und dem konsequenten Drehbuch des Films, sticht vor allem auch die Kameraarbeit von Pawel Pogorzelski. Die Bildstimmung des Films ist dynamisch, während noch zu Beginn mit weicheren Bildern und Beleuchtung gearbeitet wird, wird ab den dritten Akt des Films dies zunehmend in eine unangenehmere und härtere Stimmung gebogen, immer sich entlang hangelnd an dem psychischen Zustand der Darsteller. Auch die Kameraeinstellungen sind immer sehr ruhig und Aster vermeidet die Verwendung von Jumpscares, wie der Teufel das Weihwasser und das tut dem Film gut und hilft dabei den Horror richtig zu entwickeln. Besonders wird dieser Umstand präsentiert durch die Mutter von Annie, die Annie sich einbildet kurz nach der Beerdigung. Der Kamera hält mehrere Sekunden drauf, aber dieser Moment wird nicht mit Hilfe von sich schnell bewegenden Objekten oder lauten Tönen ausgeschlachtet. Perfekt!
Darüber hinaus wird die Geschichte, Vorgeschichte und der Gemütszustand der Akteure auf unterschiedlichen Ebenen präsentiert. Wir haben zum einen die explizite Darstellung durch die handelnden Personen selbst, aber auch die Vermittlung von Informationen durch die Miniaturwelten, welche Annie erstellt erstellt. Insbesondere die Motive in denen Annie ihre Beziehung zu ihrer Mutter darstellt wirken sehr intensiv.
Über Schwächen an diesem Film mag ich eigentlich gar nicht reden. Zwar wurde die Auflösung des Endes hin und wieder kritisiert, diese betrachtet ich allerdings als konsequent und damit richtig. Der Film birgt keinen nennenswerten Schwächen und schafft es gute alte Tugenden einen guten Horrorfilms neu zu beleben.